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Walther Tröger im Jahre 2021
Foto: Sven Teschke Creative Commons CC-by-sa-3.0
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Walther Tröger im Jahre 2021
Foto: Sven Teschke Creative Commons CC-by-sa-3.0

Walther Tröger, einer der wichtigsten olympischen Zeitzeugen, ist gestorben

Auf dem ISOH-Meeting am 30. November 2020, das wegen der Corona-Pandemie als Video-Konferenz stattfinden musste, beschloss das Exekutivkomitee, den ISOH Life Award für dieses Jahr an Walther Tröger zu verleihen. Noch bevor ihm das offiziell mitgeteilt werden konnte, verstarb das IOC-Ehrenmitglied am 30. Dezember 2020 in Frankfurt am Main im Alter von 91 Jahren.

Walther Tröger gehörte zu den wichtigsten, noch lebenden Zeitzeugen der olympischen Geschichte, die er auf unterschiedliche Weise erlebte und mitgestaltete. Beginnend mit Innsbruck 1964, nahm er an nicht weniger als 27 Sommer- und Winterspielen teil. Während der IOC-Session 1980 hielt er sich zwar in Moskau auf, danach aber kehrte er nach Hause zurück, da er keine Olympischen Spiele feiern wollte, bei denen die Sportler seines Landes auf Empfehlung des Deutschen Bundestages nicht starten durften. Zuvor gehörte Tröger zu jenen, die vergeblich gegen einen mehrheitlich vom NOK für Deutschland beschlossenen Olympiaboykott gekämpft hatten.

Walther Tröger wurde am 4. Februar 1929 in oberfränkischen Wunsiedel geboren. Seine Jugend verbrachte er in Breslau, wo sein Vater als Regierungsrat im Zolldienst tätig war. Der Vater, Karl Tröger, schloss sich nach der nazistischen „Machtergreifung“ einem bürgerlich-konservativen Widerstandskreis an. 1937/38 wurde er verhaftet und vom sogenannten Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt und eingekerkert. Einige seiner Mitkämpfer wurden hingerichtet.

Nach dem Tod des Vaters, der kurz vor Kriegsende an einem Herzinfarkt starb, flüchtete die Familie zurück nach Wunsiedel, wo Walther Tröger das Abitur ablegte. Von 1947 bis 1951 studierte er Jura, doch sein Wunsch, in den diplomatischen Dienst einzutreten, erfüllte sich für den jungen Absolventen nicht. Hinzu kam der frühe Tod seiner Mutter, so dass er als Ältester von vier Brüdern auch familiäre Verantwortung übernehmen musste.

Nachdem er durch den Studentensport mit dem Basketballspiel in Berührung gekommen war, mit dem er zeitlebens verbunden blieb, entschied er sich für eine berufliche Karriere als Sportfunktionär. 1953 wurde er Geschäftsführer des Allgemeinen Hochschulsportverbandes (ADH), in dem er sich den Ruf eines technischen Fachmannes erwarb.

Nach dem Rücktritt von Karl Ritter von Halt als NOK-Präsident gehörte Tröger einem jungen, von Nazi-Vorwürfen unbelasteten Team von Nachfolger Willi Daume an. Er begann 1961 in Personalunion als Abteilungsleiter für Internationale Beziehungen des Deutschen Sportbundes (DSB) und Geschäftsführer des NOK für Deutschland. Nach der Trennung beider Geschäftsbereiche diente er von 1970 bis 1992 als NOK-Generalsekretär. Besonders verbunden fühlte er sich mit dem Wintersport. Achtmal – von 1964 bis 2002 – fungierte er als Chef de Mission deutscher Olympiamannschaften.

Als der Ungar Árpad Csánadi 1983 plötzlich starb, übernahm Tröger auf Bitten von IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch zusätzlich noch dessen Amt als ehrenamtlicher IOC-Sportdirektor, das er bis 1990 ausübte. Er hatte großen Anteil daran, das in diesem Zeitraum durch neue Sportarten und Disziplinen erweiterte Olympische Programm einzuführen. 1989 wurde er ins IOC gewählt, dem er bis 2009, dem Erreichen der Altersgrenze von 80 Jahren, angehörte.

Obwohl Tröger eine starke Persönlichkeit war, verkörperte er dennoch nicht den Typ eines Machtpolitikers, was ihm nicht immer zum Vorteil gereichte. Zu seinen Stärken gehörten überzeugende Argumente und der Sinn für das Machbare. Während Daume oftmals bereits für einen Gedanken, den er nebenbei geäußert hatte, als Visionär gerühmt wurde, steckten manche Tröger, der 1992 Daume als NOK-Präsident gefolgt war, gern in die Schublade eines Aktenverwalters – zu Unrecht, abgesehen von seiner meist prall gefüllten Aktentasche, die er bisweilen bei sich führte.

Tröger selbst sah sich eher in der Position, die er auch beim Basketballspiel am liebsten eingenommen hatte – als Verbinder. Gerade in den Zeiten des Kalten Krieges, als das IOC die beiden deutschen NOKs verpflichtet hatte, gemeinsame Olympiamannschaften zu bilden, gehörte er zu den Befürwortern einer Auswahl, die nach dem Leistungsgedanken und nicht nach taktischem oder politischem Kalkül aufgestellt wurde. Seine Kompromissfähigkeit zahlte sich aus, als es 1990 nach der deutschen Wiedervereinigung galt, zwei unterschiedliche Sportsysteme zusammenzuführen.

Vom Charakter her war Tröger loyal, was er von anderen ebenfalls erwartete. Er war hilfsbereit und sachkundig oft bis ins kleinste Detail. Trotz pragmatischer und bisweilen defensiver Grundhaltung scheute er aber nicht den Konflikt. Dies brachte ihm allerdings auch manche Enttäuschungen ein, etwa seine Abwahl von 2002 als NOK-Präsident.

Auf ein anderes, weit wichtigeres und schreckliches Kapitel seiner Biographie hätte Tröger gern verzichtet. Die Rede ist von München 1972, die seine Olympischen Spiele waren, in die er sich als Bürgermeister des Olympischen Dorfes einbringen konnte. Sie verliefen anfangs unbeschwert, heiter und weltoffen, so wie sie angelegt waren, bis der 5. September, an dem palästinensische Terroristen die israelische Mannschaft kidnappten, dieses Konzept zunichte machte.

An jenem Tage gehörte Tröger zu einer vierköpfigen Gruppe, die mit den Geiselnehmern über die Freilassung der Israelis verhandelte. Obwohl er vom Amt her der Niedrigste der Befehlskette war, lastete auf ihm die größte Verantwortung, da der Verhandlungsführer, Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, zum damaligen Zeitpunkt nur wenig Englisch sprach. Bei jedem der zwölf Gespräche, die von Tröger übersetzt und dokumentiert wurden, drohte der Chef der Guerillas, dass man bald den ersten Sportler erschießen würde, falls die Forderungen wieder nicht erfüllt werden sollten. Zur Untermauerung zeigte „Issa“, wie sich der maskierte Mann mit dem weißen Hut nannte, eine Handgranate.

Es klang glaubhaft, wenn Tröger später erzählte, dass er auch in solchen Momenten keine Angst verspürt hätte, denn er war ein Kriegskrieg, das bereits genügend Entsetzliches erlebte hatte. Obwohl er am Leben hing, bot er den Terroristen an, anstelle der Israelis als „Ersatz-Geisel“ in das Flugzeug zu steigen, das die Bundesregierung bereitstellen wollte. Dabei wusste er längst, dass es beschlossene Sache war, deren Abflug notfalls mit Gewalt zu verhindern.

Zeitlebens sollte Tröger die Bilder von den elf getöteten Geiseln und den übrigen Opfern – einem deutschen Polizisten und fünf Terroristen – nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Kaum zu zählen, in wie vielen Interviews er zu diesem Thema Rede und Antwort stand, ohne für sich in Anspruch zu nehmen, jedes Detail der Geschehnisse zu kennen. Er war sich sogar sicher, dass es noch Dinge gibt, die bis heute unter Verschluss gehalten werden.

Kein Geheimnis ist, dass Tröger im Unterschied zu Organisationschef Willi Daume, der mit dem Attentat sein Lebenswerk zerstört sah, zu denjenigen gehörte, die 1972 dafür plädierten, die Olympischen Spiele fortzusetzen. Er bestärkte darin auch IOC-Präsident Avery Brundage, indem er sich auf die israelischen Opfer berief, die ihn gebeten hatten, sich keinesfalls mit dem Abbruch der Spiele erpressen zu lassen.

Noch ein persönliches Wort. Meine Korrespondenz mit Walther Tröger begann im Jahr 1961, als ich als 16-jähriger Schüler mein olympisches Interesse entdeckte. Von da an blieben wir in Verbindung. Eine Dekade später lernten wir uns persönlich kennen und schätzen.

Aus vielen Gesprächen weiß ich daher, wie intensiv er sich mit Geschichte beschäftigte – nicht nur mit der olympischen, sondern weit darüber hinaus. Er gehörte wohl auch zu den eifrigsten Lesern des Journal of Olympic History. So liebte er es, nach dem Erscheinen einer neuen Ausgabe das eine oder andere Thema nochmals am Telefon zu diskutieren. Gern sprach er über die bevorstehenden Spiele in Tokio. Es war sein letzter großer Wunsch, daran teilzunehmen.

Trögers historisches Interesse war echt und keineswegs platonisch. So zählte er mit Manfred Lämmer zu den Gründungsvätern und treibenden Kräften beim Aufbau des Deutschen Sport & Olympiamuseum in Köln. Seit 1994 war er Vorsitzender des Trägervereins. Die Liste seiner übrigen Funktionen, Ämter und Titel füllt mehrere Seiten.

Die 300 Kisten mit olympischem Material, die in seinem letzten Büro in Frankfurt zurückblieben und die bis heute nur zum Teil gesichtet sind, weisen Tröger außerdem als eifrigen Sammler aus, der alles, was im Zeichen der fünf olympischen Ringe stand, für aufhebenswert erachtete. Er wird auch der Community der Olympiasammler sehr fehlen.

Im Einverständnis mit Walther Trögers Familie, der das ISOH-Exekutivkomitee sein Beileid ausgesprochen hat, wird der ISOH Life Award dem Deutschen Sport & Olympia Museum dauerhaft zur Aufbewahrung übergeben.

Volker Kluge, in: Journal of Olympic History, Nr. 1/2021, S. 35-37
Zuletzt bearbeitet 08.06.2021 11:53 Uhr